Ein Blick über die Grenzen | Zur Corona Krise: Eine Stimme aus der Zivilgesellschaft 7 | 08.05.2020

Eine Kolumne von Rupert Graf Strachwitz

Europas Regierungen reagieren unterschiedlich auf die Corona-Krise. Dies gilt auch für ihren Umgang mit der Zivilgesellschaft. Und auch die Zivilgesellschaft selbst agiert und reagiert unterschiedlich.

Europa ist von Covid-19 unterschiedlich stark getroffen worden. Während Italien und Spanien unvorstellbare Belastungen zu ertragen hatten und Großbritannien als Folge der Entscheidungsschwäche der Regierung ebenfalls besonders hart getroffen wurde – von den Zuständen in den Flüchtlingslagern in Griechenland ganz zu schweigen – , kommen andere Länder – jedenfalls bis jetzt – relativ glimpflicher davon. Jede Regierung stand vor anderen Entscheidungen, weil sie mit unterschiedlichen Verhältnissen zu tun hat – dem öffentlichen Gesundheitswesen, den älteren Menschen usw. Überall ist jedoch gemeinsames Nachdenken über alle denkbaren Grenzen hinweg und solidarisches Handeln das Gebot der Stunde. Die Gelegenheit zu politischer Profilierung zu nutzen, ist schäbig; nur eigenen Experten und Kommentatoren zu vertrauen, die, aus welchen Gründen auch immer, Zugriff auf die Mikrophone der Medien haben, ist zu wenig. Auch in der Zivilgesellschaft, die diesen Zugriff meist nicht hat, gibt es Experten.

Es ist unverantwortlich, wenn die Regierungen nicht mit allen verfügbaren Kräften zusammenarbeiten. Die Zivilgesellschaft verfügt über Kräfte; sie ist aber auch betroffen. Hier tun sich Unterschiede auf, die nichts mit unterschiedlichen Ausgangssituationen oder Verhältnissen zu tun haben. Vielmehr wird deutlich, was auch vorher vorhanden war: eine große Verschiedenheit im Verhältnis des Staates zur Zivilgesellschaft im Land. In der ersten Phase ging es primär um die großen gemeinnützigen Dienstleistungsorganisationen. Rettungsdienst und Krankentransport und eine Vielzahl von ambulanten sozialen Diensten waren und sind in der Pandemie mehr denn je beansprucht. Überwiegend liegen diese Dienste in Deutschland ebenso wie anderswo in Europa in den Händen zivilgesellschaftlicher Organisationen; eingesetzt werden neben haupt- und nebenamtlichen auch zahllose ehrenamtliche Einsatzkräfte; für sie konnte es kein Home Office, keinen Shutdown, keinen Lockdown geben. An öffentlichen Aufrufen zur Mithilfe wie sie bei Naturkatastrophen oder in der Flüchtlingskrise notwendig und höchst erfolgreich waren, besteht bisher allerdings kein Bedarf.

In Österreich war die Zivilgesellschaft vom Beginn der Krise an in alle Planungen einbezogen. Das Österreichische Rote Kreuz war bespielsweise von Anfang an Ansprechpartner und genoß eine unangefochtene Expertenstellung. Vom ersten Moment an wurde bei allen Überlegungen zu Hilfsprogrammen und Rettungsschirmen immer von der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft gesprochen (Näheres:hier). An einem Webinar des NPO-Instituts der Wirtschaftsuniversität Wien und der Interessenvertretung gemeinnütziger Organisationen (IGO) mit dem Titel‚ Covid-19-Pandemie, Lockdown und die Folgen für den dritten Sektor‘ am 30. April  konnte jeder Interessierte teilnehmen.

In Großbritannien gab es Bedarf an Freiwilligen. Auf einen Aufruf des nationalen Gesundheitsdienstes NHS hin meldeten sich in einer Woche 750.000 Bürgerinnen und Bürger. Die britische Regierung legte aber auch ein eigenes Hilfsprogramm im Umfang von 750 Millionen GBP für ‚charities‘ auf – so nennt man dort zusammenfassend alle als gemeinnützig, oder, wie es im Amtsdeutsch heißt, als steuerbegünstigt anerkannten Organisationen. Die Charity Commission, die für die Regulierung und Kontrolle aller Organisationen zuständige Staatsbehörde (für England und Wales, in Schottland Office of the Scottish Charity Regulator) veröffentlichte am 7. April Richtlinien und Empfehlungen für den Umgang der Organisationen mit den Besonderheiten der Krisensituation. Ebenso hält der Dachverband der britischen zivilgesellschaftlichen Organisationen NCVO auf seiner Webseite umfassende Informationen bereit. Aus anderen europäischen Ländern und sogar aus den USA ließe sich ähnliches berichten.

In Deutschland ist das Bild wie so oft diffuser, und die Informationen fließen spärlicher. Nur wenige Dachverbände, beispielsweise der Deutsche Kulturrat und VENRO, bieten ihren Mitgliedern aktiv Unterstützung und liegen ebenso aktiv der Bundesregierung in den Ohren. Diese hat sich bisher nicht dazu hinreißen lassen, das bürgerschaftliche Engagement zu würdigen, das in den Organisationen oder auch ganz spontan im Einsatz ist. Von der für Engagement zuständigen Ministerin war dazu bisher nichts zu vernehmen. Auch die Medien konzentrieren sich auf die Nöte von Politik und Wirtschaft und übersehen beispielsweise geflissentlich, daß 50% aller Krankenhausbetten in Deutschland in Einrichtungen zivilgesellschaftlicher Träger stehen. Ein speziell auf die Zivilgesellschaft zugeschnittenes Hilfsprogramm gibt es nicht; die Rettungsschirme sind nicht als solche ausdrücklich über der Zivilgesellschaft aufgespannt worden. Kurzarbeitergeld können Mitarbeitende von gemeinnützigen Organisationen unter Umständen erhalten, bei anderen Hilfsmaßnahmen fallen sie durch das Raster.

Etwas anders sieht es in manchen Ländern aus. Landesregierungen haben verschiedentlich das bürgerschaftliche Engagement in der Krise anerkannt. In Berlin konnten auch gemeinnützige Organisationen vom Soforthilfeprogramm der IBB profitieren, mußten allerdings erst einmal verstehen, daß mit der Formel „…unterstützt das Land Berlin die Berliner Wirtschaft…“ auch sie gemeint waren.

Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist es bisher nicht gelungen, öffentlich zu machen, was die Zivilgesellschaft jetzt braucht, noch viel weniger, was sie anzubieten hat oder wozu sie sich herausgefordert fühlt, um die Krise zu meistern. Es bleibt wohl einigen wenigen Exponenten vorbehalten, darauf aufmerksam zu machen. An europäischer zivilgesellschaftlicher Solidarität wird es dabei nicht fehlen.

Rupert Strachwitz

Dr. phil. Rupert Graf Strachwitz

Vorstandsmitglied der Maecenata Stiftung
rs@maecenata.eu

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