Die Stimme der Zivilgesellschaft im Sachverständigengremienprozess

Analyse zur Zusammensetzung der politischen Beratungsprozessen auf Bundesebene

Zivilgesellschaft  ist in aller Munde und zum politischen Schlagwort geworden – doch wer genau damit adressiert wird, bleibt oft unklar. Wen meinen ParlamentarierInnen und Verwaltung, wenn sie von den „Vertretern der Zivilgesellschaft“ sprechen? Welche dieser Vertreter*innen binden sie in Anhörungen, Expertengremien und Konsultationsverfahren ein? Bisher liegen dazu in Deutschland keine Untersuchungen vor. Im Rahmen einer Projektförderung der Otto Brenner Stiftung untersuchte das Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft daher, in welcher Form zivilgesellschaftliche Organisationen in den konsultativen Bundesgremien in Deutschland eingebunden sind und stieß dabei auf erhebliche Mängel im Bezug auf die Datenlage zu und die Zusammensetzung von Bundesgremien.

Vorhaben

Ziel des Projekts war es, zu erfassen, in welcher Form zivilgesellschaftliche Organisationen – neben anderen Interessensvertretungen­­­­­ in den politikberatend tätigen Gremien des politischen Prozesses in Deutschland auf Bundesebene eingebunden sind.

Dabei wurden insbesondere folgende Fragen bearbeitet:

  1. Welche Möglichkeiten der politischen Teilhabe und Mitbestimmung sieht der deutsche Verfassungsrahmen für die zivilgesellschaftlichen Organisationen vor?
  2. Welche konsultativen Gremien gibt es auf Bundesebene und mit welchen Interessensvertretern sind sie besetzt? Wer sind die Vertreter der ZGO, für wen und wessen Belange sprechen sie?

In einem ersten Schritt wurden die politischen Gelegenheitsstrukturen erfasst, d.h. es wurde ein Überblick über die Beratungsgremien der Bundesregierung und des Bundestages sowie eine Zusammenfassung der verfassungsrechtlich garantierten Beteiligungsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Organisationen erstellt. Danach wurde eine Gremienanalyse über die Zusammensetzung der Experten*innen der 19. Legislaturperiode durchgeführt.

Die wichtigsten Ergebnisse

In der vergangenen Legislaturperiode haben mehr als 300 Expertengremien die Politik auf Bundesebene beraten. Relevante Fakten über diese Gremien und wichtige Informationen über deren Mitglieder waren jedoch nur teilweise verfügbar. Daher konnten in unserer „Vollerhebung“ nur 223 Sachverständigengremien analysiert werden.

Die gesetzlichen Grundlagen für die politische Beteiligung von Interessenvertretern lassen den zuständigen Ministerien einen erheblichen Spielraum bei der Berufung. Zwar wird „Verbänden“ häufig eine besondere Rolle zugeschrieben (z.B. in gesetzlichen Vorgaben und Geschäftsordnungen), doch ist der Begriff des Verbandes rechtlich und wissenschaftlich nicht eindeutig definiert. Auch deshalb gibt es große Unterschiede zwischen den Ministerien. Allgemein lässt sich eine Überrepräsentativität von Interessenvertretenden aus der Wirtschaft und Wissenschaft feststellen. Gemeinwohlorientierte Akteure aus der Zivilgesellschaft sind dagegen kaum vertreten. Sie stellen nur 14 Prozent der einberufenen Expert*innen.

Hinzu kommt, dass die Verfahren für die Berufung in Gremien nicht formalisiert und nur vereinzelt nachvollziehbar sind. Die Kriterien für die Berufung von Gremienmitgliedern oder die Berücksichtigung ihrer Empfehlungen sind damit nicht überprüfbar. Die Auskunftspraxis der meisten Bundesministerien zum Berufungsverfahren und zur Zusammensetzung der Gremien ist auf Basis unserer Recherchen als intransparent und mangelhaft zu bewerten. Zudem spiegelt die Zusammensetzung der Gremien in der 19. Legislaturperiode eine verzerrte gesellschaftspolitische Repräsentativität, etwa was die Geschlechterparität angeht, wider.

Handlungsempfehlungen

Um den vorhandenen Mängeln entgegenzuwirken, sollten die Verfahren zur Berufung externer Sachverständiger in die Bundesgremien künftig offengelegt und eine angemessene Repräsentanz der verschiedenen Sektoren und ihrer vielfältigen Akteure sichergestellt werden. Zudem sollte die Einbringung von Expertise durch Expertengremien im legislativen Fußabdruck von Gesetzen dargestellt werden. Schließlich muss der Verbändebegriff geschärft werden. Nur so kann die derzeitige Bundesregierung ihrem erklärten Ziel eines „transparenten Regierungshandelns“ gerecht werden.

Pressemeldungen

Büro gegen Altersdiskriminierung 23.02.2023

Finanznachrichten.de 22.02.2023

Frankfurter Rundschau 22.03.2023

Saarbrücker Zeitung 22.03.2023

TAZ 22.02.2023

Gut beraten? Zur Rolle der Zivilgesellschaft in Sachverständigengremien

Erscheinungsdatum: 22. Februar 2023
OBS-Arbeitspapier 57
Autorinnen: Siri Hummel und Laura Pfirter

Kontakt

Dr. Siri Hummel
Direktorin des Maecenata Instituts
sh@maecenata.eu

Laura Pfirter

Laura Pfirter
Mitarbeiterin des Maecenata Instituts
lp@maecenata.eu